Das Projekt nexus ist seit dem 30. April 2020 abgeschlossen. Alle Informationen und Texte entsprechen dem Stand zum Projektende und werden nicht weiter aktualisiert. Mit dem Themenbereich Anrechnung und Anerkennung befasst sich das aktuelle HRK-Projekt MODUS und für Studierende die Infoseite AN!.
Zusammenfassung Tilman Dörr & Mina Wiese (Hochschulrektorenkonferenz / nexus)
Der Frage „Führt die Kompetenzorientierung zur Inkompetenz?“ widmeten sich auf dem Podium Professor Dr. Frank Dellmann (Fachhochschule Münster), Professor Dr. Andreas Musil (Universität Potsdam), Nathalie Schäfer (fzs) und Dr. Irene Seling (BDA).
Professor Musil betonte zunächst in Erwiderung der Thesen aus dem vorangegangenen Vortrag, dass man nicht zu kritisch mit allen Zielen der Kompetenzorientierung umgehen dürfe, denn sie haben vielmehr zu einer intensiveren Auseinandersetzung geführt, was Studierende am Ende ihres Studiums können sollten. Lehrende hätten allerdings keine Lust auf abgehobene Debatten, die eher in den Feuilletons geführt werden sollten und in der Hochschulrealität keine wesentliche Rolle spielten. In den Hochschulen gehe es vielmehr darum, einen pragmatischen Ansatz zu finden, der alle Lehrenden anzieht und so eine gemeinsame Reflexion im Kollegenkreis ermögliche. Eine ideologische Auseinandersetzung um den Begriff der Kompetenzorientierung sei nicht sinnvoll. Letztlich gehe es darum, ein Bewusstsein zu entwickeln, welche konkreten Kompetenzen Absolventen eines Studiengangs erwerben sollten. Zustimmung erhielt er von Professor Dellmann, der ergänzte, dass man bestimmte Vokabeln vermeiden solle und dass die Übersetzung in die jeweilige Sprache der Fächer von hoher Bedeutung sei.
Dem stimmte BDA-Vertreterin Seling zu und ergänzte, dass die Hochschulen in diesem Bereich auch schon weiter seien als die Kritiker in den Feuilletons der Zeitungen. Fortschritte seien sichtbar, so z.B. bei der Annäherung von Hochschule und Wirtschaft: Es werde verstärkt in den Blick genommen, welche Kompetenzen die Absolventen für den Arbeitsmarkt benötigten. Sie plädierte für einen verstärken Austausch, wies aber auch darauf hin, dass der Arbeitsmarkt keinesfalls die Hochschulen festlegen dürfe. Die Vertreterin der Studierendenschaft, Nathalie Schäfer, gab hingegen zu bedenken: Der Begriff der Kompetenzen habe in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und sei mit seiner klaren Zielvorstellung „fit für den Arbeitsmarkt“ stark normativ geprägt. Zudem werde durch den Fokus auf Kompetenzen das Studium „entwissenschaftlicht“ („Erkenntnisgewinn fällt der Arbeitsmarktfähigkeit zum Opfer.“).
Einig waren sich die Diskutanten, dass viel mit den Begriffen „Kompetenzen“ und „Kompetenzorientierung“ verbunden werde, was primär nichts damit zu tun habe. Dellmann schilderte die Situation an der FH Münster, an der die Kompetenzorientierung mittlerweile eigentlich kein Thema mehr sei, da bereits vor Jahren aus Sorge vor einer zunehmenden Passivität der Studierenden verstärkt aktivierende Lehr-/Lernformate eingeführt worden seien, wodurch der Übergang zur Kompetenzorientierung zwangsläufig ausgelöst wurde. Zudem sei durch die Outcome-Orientierung die Interdisziplinarität gewachsen: Kollegen verschiedener Fachdisziplinen würden sich verstärkt zusammentun. Allerdings handele es sich bei Veränderungsprozessen in der Lehre immer um fließende Übergänge. Festzuhalten sei, dass die richtige Anwendung der Kompetenzorientierung zu einer Verringerung der Studienabbrüche führe. Insbesondere das Aufzeigen der Sinnhaftigkeit von Studiengängen und -inhalten sei hierbei von großer Bedeutung, so BDA-Vertreterin Seling.
Die Bedeutung des Begriffs Kompetenzorientierung als „Irritationsbegriff“ hob Professor Musil hervor und führte aus, dass dieser die Leute aufrege. Beispielsweise sei auch der Gegensatz von Beruflichkeit und Fachlichkeit ein konstruierter „Pappkamerad“, da es kein „Entweder-oder“ gebe, sondern immer beides wichtig sei. Dennoch rege die Debatte zum Nachdenken an, denn es gehe bei der Kompetenzorientierung um das Bewusstsein, was der Lehrende beim Studierenden erreichen möchte, also was er/sie abschließend können und wissen sollte. Ergänzend führte Irene Seling an, dass es ebenfalls keinen Widerspruch von Wissen und Kompetenz gebe, sondern dass Wissen die Voraussetzung für Kompetenz sei, es aber ohne Wissen keine Kompetenz gäbe. Sie erhielt dafür volle Zustimmung aus dem Podium.
Einig waren sich die Diskutanten und das Publikum auch in der Frage nach den notwendigen Ressourcen: Die Kompetenzorientierung dürfe neben den zahlreichen anderen Aufgaben nicht zu einer weiteren Überlastung des Lehrpersonals führen. Daher, so Musil, müssten die Hochschulen den Ministerien vermitteln, dass multiple Anforderungen entsprechende Ressourcen bräuchten. Wenn man die Kompetenzorientierung ernst nehmen wolle, hieße das auch, die Ressourcen zu erweitern, um z.B. kompetenzorientierte Prüfungen durchführen zu können. Daraus ergebe sich auch die Frage, so die Vizepräsidentin der Humboldt-Universität, Professorin Dr. Eva Ines Obergfell, ob man sich die Kompetenzorientierung gar nicht leisten könne, wenn die Hochschulen keine ausreichende finanzielle Ausstattung hätten und ob man daher nicht eine „Luxusdebatte“ führe. Die Alternative könne jedoch nicht sein, so Professor Dellmann, die Kompetenzorientierung aufzugeben, sondern man müsse über die Inhalte sprechen und diese pragmatisch und lösungsorientiert angehen. Es sei bereits viel gewonnen, wenn die Studierenden im Mittelpunkt der Lehre stünden.
Professor Dr. Michael Kämper-van den Boogart appellierte zum Abschluss, keine Etikettenkämpfe zu führen, die als ideologisch wahrgenommen würden. Vielmehr sei die Beschäftigung mit den einzelnen Studierenden wichtig und müsse im Zentrum guter Lehre stehen.