Das Projekt nexus ist seit dem 30. April 2020 abgeschlossen. Alle Informationen und Texte entsprechen dem Stand zum Projektende und werden nicht weiter aktualisiert. Mit dem Themenbereich Anrechnung und Anerkennung befasst sich das aktuelle HRK-Projekt MODUS und für Studierende die Infoseite AN!.
Dr. Valerie Varney leitet die Forschungsgruppe „Digitale Lernwelten“ am Cybernetics Lab, einem interdisziplinären Forschungsverbund an der RWTH Aachen. In der Forschungsgruppe setzen sich Geistes- und Sozialwissenschaftler, Naturwissenschaftler und Ingenieure mit technologischen Entwicklungen und damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen auseinander. Sie untersuchen die Digitalisierung von Lehr- und Lernkontexten und betrachten technische Systeme sowie deren Anwendung aus verschiedenen Perspektiven und Fachdisziplinen. Ein Schwerpunkt ist die Forschung zu Mixed Reality, in der reale und virtuelle Umgebungen kombiniert werden.
Wie lässt sich der Begriff Mixed Reality in Kürze erklären?
Das ist gar nicht einfach zu beschreiben. Der Begriff benennt letztendlich ein Kontinuum, in der virtuelle Umgebungen und natürliche Benutzerschnittstellen kombiniert werden. Das Mixed Reality-Kontinuum reicht von der Realität, in der wir uns quasi ohne Technologie bewegen und führt Schritt für Schritt über Augmented Reality – darunter verstehen wir zum Beispiel die visuelle Erweiterung der Realität durch Bilder oder Videos am Smartphone oder über bestimmte Brillen, so genannte Head Mounted Displays – bis hin zur vollständigen Virtualisierung der Realität. Tauchen wir durch digitale Technologien völlig ein in diese virtuelle Realität und blenden die andere Realität aus, sprechen wir von Immersion.
Seit 2011 untersuchen Sie stets neue technische Methoden, damit verbundene didaktische Möglichkeiten für deren Anwendung in der Lehre. Zu welchen prägnanten oder auch überraschenden Ergebnissen sind Sie im Bereich Mixed Reality gelangt?
Wir untersuchen durchaus kritisch die Auswirkungen neuer Technologien und hinterfragen, ob und wie diese den Lernprozess unterstützen. Bei Virtual Reality sind wir beispielsweise davon ausgegangen, dass man durch das Eintauchen in eine andere Realität Aufgaben leichter lösen kann und das Erinnerungsvermögen gestärkt wird. Es hat uns erstaunt, dass die gleichen Aufgaben am PC aber besser gelöst wurden. Beim genauen Betrachten war das gar nicht mehr so verwunderlich: Das Virtual-Reality-Equipment – in dem Fall unhandliche und recht schwere Brillen sowie ein Virtual Theatre mit omnidirektionalem Boden– wurde als eine Art Störfaktor empfunden. Und das ist ein wichtiges Ergebnis: Mit der neuen Technik betreten wir eine neue Welt. Vor der eigentlichen Anwendung sollten deshalb eine Testphase und Tutorials eingeplant werden, in der sich die Studierenden an die neuen Gegebenheiten gewöhnen können. So kann der potenziell negative Einfluss auf den Lernprozess vermindert werden. Die Technologien werden zudem immer besser und leichter, das wirkt sich sicherlich zusätzlich begünstigend aus.
Was sind die Vorteile beim Einsatz der Technologien – und wo sind Grenzen?
Alle unsere bisherigen Studien belegen, dass der Einsatz virtueller Umgebungen in der Lehre die Motivation der Studierenden erhöht und ihnen die Lerneinheiten Spaß machen. Ein Problem könnte natürlich sein, dass irgendwann auch eine Sättigung eintreten kann. Ein besonderer Aspekt ist sicher, dass Studierende mithilfe virtueller Lernumgebungen schneller ein Prozessverständnis entwickeln können, etwa, weil wir unsichtbare Prozesse sichtbar machen und erklären können. Studierende können so auch Gefahrensituationen „erleben“ oder die Arbeit auf Großbaustellen einüben, was analog so kaum möglich ist. Virtuelle Lernumgebungen sind aber nicht für jede Lehr- Lernsituation und auch nicht für alle Studierenden geeignet. Man sollte deshalb auch immer eine Alternative bereithalten.
Welche Kompetenzen können durch Virtual oder Mixed Reality gefördert werden?
Das lässt sich pauschal nicht beantworten, es kommt auf das Lernziel und das jeweilige Format an.
Die technische und didaktische Entwicklung von Lehr-Lern-Konzepten im Bereich Mixed Reality ist komplex und mit hohem personellen, finanziellen als auch zeitlichen Aufwand verbunden. Wie können Lehrende das umsetzen – vor allem bei großen Studierendenzahlen?
Da sehe ich die Hochschulen und auch die Politik in der Pflicht, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, Unterstützung und Weiterbildung zu ermöglichen. Man kann von Lehrenden nicht erwarten, dass sie alle drei für Mixed Reality-Lernumgebungen wichtigen Komponenten – Technik, Didaktik und Fach – gleich gut können und einsetzen können. Es müssen Lernumgebungen für Lehrende gebaut werden und entsprechende Angebote geschaffen werden, um die Kompetenzen im Bereich Data Literacy zu erhöhen. Jüngere Generationen haben meist einfachere Zugänge und einen deutlich höheren Kontakt zu den Technologien als die Lehrenden.
Was empfehlen Sie Lehrenden oder Kollegen in Didaktikeinrichtungen, die in die Thematik einsteigen?
Erstens keine Angst vorm Scheitern zu haben und bereit zu sein, neue Wege zu gehen. Zweitens, es einfach auszuprobieren und sich weiterzubilden – alleine, um für sich selbst zu klären, ob sie mit virtuellen Lernumgebungen arbeiten können und wollen. Die Studierenden werden das wertschätzen! Erzwingen lässt sich das Interesse natürlich nicht, und die Methoden sollten auch zur Lehrperson passen. Tun sie das nicht, merken das die Studierenden sofort. Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Frage, in welcher Rolle sich die Lehrenden selbst sehen: Als Begleiter, die sich neuen Entwicklungen und dem damit verbundenen Wandel in der Lernkultur anpassen oder als Verfechter herkömmlichen Fontalunterrichts?
Wo finden Lehrende Unterstützung und Informationen zum Thema?
Hier hilft natürlich die Vernetzung und die Kollaboration mit anderen aus dem Fach, der Didaktik, der Technik – an der eigenen Hochschule und darüber hinaus. Hilfreich sind auch Fachveranstaltungen oder digitale Plattformen wie e-teaching.org, Bildung_Digital und die gesamte hochschuldidaktische Community bei twitter, das Hochschulforum Digitalisierung oder auch das Projekt ELLI, das auch an andere Hochschulen geht und bei didaktischen oder technischen Fragen unterstützt. Sehr wichtig und hilfreich ist die Kommunikation mit den eigenen Studierenden: Wie in der analogen Lehre ist keine neue Lernumgebung nach dem ersten Durchlauf perfekt. Bei Kursen mit virtuellen Realitäten ist die Evaluation besonders wichtig. Es gilt, das Feedback aufzugreifen, das Konzept zu optimieren und nicht direkt aufzugeben, wenn es nicht gleich wie gewünscht funktioniert.
Kann immersives Lernen die reale Lehre ersetzen?
Nein, es kann das persönliche Miteinander aber ergänzen und hilft beispielsweise auch, wenn man ortsunabhängig oder über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten möchte.
Sehen Sie die Möglichkeit, dass Mixed Reality in Deutschland langfristig in der Hochschulehre eingebunden wird?
Ich sehe Mixed Reality im Verhältnis zur analogen Lehre ähnlich wie das Verhältnis von Trendsportarten und Breitensport und demnach eher als abwechslungsreiche Ergänzung. In den USA sind virtuelle Lernumgebungen bereits häufiger in die Lehre eingebunden. Bei uns sind es bislang noch recht wenige Hochschulen. Es werden zwar immer mehr, auch durch die Förderung durch die Politik, aber die Kosten für den flächendeckenden Erwerb und den Einsatz hochmoderner Geräte sind generell sehr hoch. Daher wird bei uns eher Augmented Reality eingesetzt mit einer niedrigeren Hemmschwelle als Virtual Reality. Es bleibt spannend, die technologischen Fortschritte zu verfolgen.
Die Fragen stellte Nicole Körkel.
Dr. Valerie Varney leitet die Forschungsgruppe Digitale Lernwelten am Cybernetics Lab, einem interdisziplinären Forschungsverbund an der RWTH Aachen.
In der Forschungsgruppe setzen sich Geistes- und Sozialwissenschaftler, Naturwissenschaftler und Ingenieure mit technologischen Entwicklungen und damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen auseinander. Sie untersuchen die Digitalisierung von Lehr- und Lernkontexten und betrachten technische Systeme sowie deren Anwendung aus verschiedenen Perspektiven und Fachdisziplinen. Ein Schwerpunkt ist die Forschung zu Mixed Reality, in der reale und virtuelle Umgebungen kombiniert werden. Foto: Edvard Krikourian