Das Projekt nexus ist seit dem 30. April 2020 abgeschlossen. Alle Informationen und Texte entsprechen dem Stand zum Projektende und werden nicht weiter aktualisiert. Mit dem Themenbereich Anrechnung und Anerkennung befasst sich das aktuelle HRK-Projekt MODUS und für Studierende die Infoseite AN!.
Eine aktuelle DAAD-Studie befasst sich mit der Frage, wie sich Mobilität auf interkulturelle Kompetenz und Werteorientierung auswirkt. Gab es einen bestimmten Anlass für die Durchführung der Studie?
Ja, die Pariser Deklaration vom März 2015, mit der die EU-Bildungsministerinnen und -minister die Bedeutung gemeinsamer europäischer Werte in der Bildung auf nationaler und europäischer Ebene betonen und notwendige Bildungsmaßnahmen wie die Förderung von interkulturellen Kompetenzen und des interkulturellen Dialogs formulieren sowie die Prävention von Diskriminierung. Wir wollten wissen, ob die Programme zu diesen Zielen beitragen oder nicht – und wie sich dies feststellen lässt.
Untersucht wurde, welchen Effekt Auslandsaufenthalte auf die Persönlichkeitsentwicklung von Studierenden haben. Was ist neu an der Studie – etwa im Vergleich zur Erasmus Impact Study der Europäischen Kommission von 2014, die als die bisher umfassendste Untersuchung zum Thema gilt?
Die Erkenntnisse der ersten Teilstudie dürften weder für den DAAD noch für die erfahrenen Fachleute an den Hochschulen überraschend sein: Natürlich trägt ein Auslandsaufenthalt in verschiedener Hinsicht zur Persönlichkeitsbildung bei. Neu ist, dass wir dies besser und differenzierter belegen können. Neu ist auch das Forschungsdesign der psychologischen Längsschnittstudie.
Inwiefern?
Insgesamt wurden – zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten – rund 3.000 Studierende befragt. In einigen früheren Erhebungen ist man davon ausgegangen, dass mobile Studierende von vornherein andere Persönlichkeitsmerkmale aufweisen als diejenigen, die kein Interesse an einem Auslandsaufenthalt haben. Die Studie belegt, dass die Reise entscheidend ist: Neben mobilen Studierenden – die meisten mit einem Auslandssemester in der Bachelorphase – und einer Kontrollgruppe wurden auch Studierende befragt, die einen Aufenthalt konkret planen. Bei den Studierenden, die im Ausland waren, können wir im Vergleich mit den beiden anderen Gruppen wesentliche Veränderungen belegen. Durch den Aufenthalt – und nicht nur durch das Interesse daran – nehmen etwa multikulturelle Selbstwirksamkeit und interkulturelle Empathie maßgeblich zu, während Fremdenangst abgebaut wird.
Welche Ergebnisse haben Sie überrascht?
Die Forschergruppe, die die erste Teilstudie durchgeführt hat, war sehr beeindruckt vom Grad der Entwicklung, die Studierende im Ausland nehmen. Sie ist zu vergleichen mit Resultaten nach spezifischen intensiven interkulturellen Trainings. Das ist insofern bemerkenswert, als die Studierenden ja primär aus anderen Gründen im Ausland studieren, ein überaus positiver Nebeneffekt also – gerade mit Blick auf die Zielsetzungen der Pariser Deklaration.
Studierende der Medizin und des Lehramts sind weitaus weniger mobil als andere Studierende. Gerade sie werden in ihrem späteren Berufsalltag häufig im direkten Kontakt mit Menschen stehen. Was bedeutet dies mit Blick auf eine zunehmend diverse Gesellschaft?
Die Mediziner würde ich an dieser Stelle ausklammern, sie gehen zu einem anderen Zeitpunkt ins Ausland, etwa als Arzt im Praktikum. Bei den Lehramtsstudierenden hat dies sicher mit Organisation und Struktur des Studiums mit seinen zwei oder mehreren Fächern zu tun, hier sind die Ängste entsprechend höher. Das wurde auch als Problem erkannt. Es gibt inzwischen gute Beispiele an deutschen Hochschulen, die hierfür Lösungen suchen, das ist aber noch nicht Regel. Der DAAD legt aktuell eine Reihe an Programmen auf, die sich speziell an Lehramtsstudiengänge richten. Denn natürlich ist es für die Gesellschaft essentiell, dass Lehrerinnen und Lehrer in diesem Punkt gut aufgestellt sind. Sie als Studierende idealerweise selbst ins Ausland gehen, um später als Lehrende sowohl junge Menschen für Auslandsaufenthalte zu motivieren als auch, um mit der interkulturellen Vielfalt an Schulen souverän umgehen zu können.
Gesucht wurde in der Studie nach Stellschrauben, sogenannten „Moderatoren“, die die Persönlichkeitsentwicklung zu weltoffenen Akademikerinnen und Akademikern unterstützen und fördern. Welche sind das?
Kontakte mit anderen Menschen spielen eine große Rolle. Interessant ist, dass es nicht entscheidend ist, ob es sich dabei um Angehörige des Gastlandes oder andere internationale Studierende handelt. Beides berücksichtigen die Erasmus-Programme. Entscheidend ist, wie häufig und wie intensiv der Austausch ist – und ob die Studierenden diesen als positiv erleben.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für Ihre Zusammenarbeit mit den Hochschulen?
Das wird uns in den kommenden Monaten und Jahren noch gemeinsam beschäftigen – etwa die Frage, ob es eine strukturierte Vor- und Nachbereitung der Auslandsaufenthalte gibt, ob die Hochschulen ein Interesse daran haben, die Wirkungen von Auslandsaufenthalten selbst zu messen, zu fördern, zu verstärken – und ob man Ergebnisse für die Studierenden nutzbar macht, etwa bei Bewerbungen. Das sind Aspekte, die in der zweiten Teilstudie beleuchtet wurden – per Online-Abfrage unter zentralen Einrichtungen und Projektverantwortlichen an den Hochschulen als auch über Workshops mit Stakeholdern.
Hier gaben zwei Drittel der Befragten an, dass die Ziele der Pariser Deklaration keine Rolle in ihrer Arbeit spielen oder aber überhaupt nicht bekannt sind. Was sagt uns das?
Ich würde sagen, das ist auch eine Frage der Sichtweise. Auch wenn Verantwortliche die Deklaration oder deren Ziele nicht genau kennen, heißt das nicht zwangsläufig, dass sie die Ziele nicht dennoch in den Programmen umsetzen. Wenn ein Drittel die Deklaration und ihre Ziele kennt, finde ich das schon eine ganze Menge.
Ein Großteil der Befragten wünscht sich von Hochschulleitungen, Lehrenden und Studierenden mehr Motivation für das Thema Auslandsaufenthalte.
Diese Frage ist nicht allein durch Hochschulen zu lösen. Wenn junge Menschen von der Schule an die Hochschulen kommen, sind sie mit vielen Anforderungen konfrontiert, da steht ein Auslandsaufenthalt nicht gerade an erster Stelle. Damit die Entscheidung hierfür positiv ausfällt, sollte man früher ansetzen. Das führt uns wieder zum Thema Lehrerbildung: Was können wir schon viel früher, etwa in der Schule, mit auf den Weg geben? Das Ziel sollte sein, ohne Druck auf Angebote aufmerksam zu machen. Und Studien belegen: Wer schon in der Schulzeit im Ausland war, geht auch später eher erneut. Es gibt im Übrigen auch Hochschulen und Studiengänge, an denen ein Auslandsaufenthalt verpflichtend ist.
Allgemein stellen Verantwortliche eine gewisse „Servicementalität“ bei Studierenden fest: Während man Vorzüge Europas genieße, herrsche politisches Desinteresse gegenüber europäischen Themen und Werten, es fehle gar die Bereitschaft für den Austausch mit anderen; Erasmus werde eher als individueller Karriereschritt betrachtet. Ist dies tatsächlich so – und wenn ja, wie kann dem begegnet werden?
Eine Befragung ist immer auch eine Art Ventil, bestimmten Enttäuschungen Luft zu machen. Was Sie ansprechen, sind Rückmeldungen aus den Workshops, die nicht unbedingt repräsentativ sind. Allerdings erlebe ich in persönlichen Gesprächen an den Hochschulen schon eine gewisse Frustration über einen Wandel im Laufe der Jahre, dass die Studierenden heute sehr viel unselbstständiger sind und auch sehr viel zweckorientierter. Es ist für sie von Bedeutung, wieviel Credits sie bekommen oder an welcher Hochschule im Ausland es am leichtesten gute Noten gibt. Andererseits sehe ich auch die Hochschulen in der Pflicht, hier gegenzusteuern.
Wie zum Beispiel?
Dafür gibt es sicher keine allgemein gültige Antwort. Aber zum Beispiel, indem man von Studierenden mehr Eigeninitiative fordert und dem dann auch einen höheren Stellenwert beimisst.
In der Studie werden Empfehlungen für Hochschulen, DAAD und Politik erwähnt. Gibt es Aspekte, die sie konkret aufgreifen?
Wir als Nationale Agentur werden mit den nationalen Behörden und der Europäischen Kommission sehr stark das Design der nächsten Programmgeneration diskutieren. Da geht es weniger um individuelle Mobilität als um die Frage, ob Projekte als Ganzes übergeordnete strategische Zielsetzungen und einen Impact haben sollen, der im Nachhinein auch überprüft werden kann. Oder soll es nur darum gehen, dass Gelder zweckgerichtet eingesetzt und gut verwaltet werden?
Die Frage ist letztendlich: Wie konsequent wollen wir sein und Haltung zeigen bei der Umsetzung europäischer Werte in unseren Programmen? Das bedeutet auch für uns beim DAAD ein Spektrum an Themen, die wir in unseren Veranstaltungen aufgreifen. Wir befinden uns in einem Prozess der Bewusstwerdung Bestandsaufnahme und Positionierung. Ich denke, dass alle Akteure aufgeschlossen miteinander im Dialog und gemeinsam auf einem guten Weg sind.
Dieses Interview ist zuerst im nexus-Newsletter erschienen. Die Fragen stellte Nicole Körkel.
Mit Blick auf die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und der Bedeutung von sozialer Inklusion und integrativer Bildung, widmet sich die Studie des DAAD dem Thema "Weltoffen durch Erasmus+? Die Rolle der Hochschulen als Katalysatoren für zivilgesellschaftliches Engagement unter Nutzung von Erasmus+". Die Studie besteht aus zwei Teilen:
Weitere Infos auf der DAAD-Webseite