Große Kohorten, zunehmende Diversität der Studierenden, verändertes Lernverhalten, Unsicherheit im Hinblick auf die tatsächlichen Anforderungen im Studium: Das sind einige der wesentlichen Schwierigkeiten, mit denen Lernende - aber auch Lehrende - in der Studieneingangsphase konfrontiert sind. Projektbasiertes Lernen bildet dabei eine Möglichkeit, Studienanfängern einen Eindruck ihres späteren Berufsfeldes zu vermitteln und den Anwendungsbezug zwischen den theorielastigen Fächern und dem Berufsziel zu vermitteln.
Am Fachbereich Bau der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) wurde ausgehend von diesem Überlegungen im Rahmen der Fachbereichsentwicklung ein neues Gesamtkonzept für die Studieneingangsphase entworfen. Grundlage der daraus entstandenen Projektwoche ist das Modell der AG Planen, Entwickeln und Konstruieren (AG PEK) des Fachbereichs Bau- und Umweltingenieurwesen der TU Darmstadt.
Dieses seit dem Wintersemester 2013 eingeführte Angebot für StudienanfängerInnen wird durch kontinuierliche Evaluationsrunden mit Lehrenden, Tutorinnen und Tutoren und Studierenden im Sinne der Fachbereichs- und Lehrkonzeptentwicklung seit drei Semestern optimiert und ist inzwischen curricular verankert.
Eine herausfordernde Aufgabenstellung, die möglichst nahe an der Arbeitswelt konzipiert ist, soll über längere Zeit von einem Studierendenteam bewältigt werden. Themen der Projektwochen aus der Berufswelt von Bauingenieuren und Architekten waren bisher der Aufbau und die Versorgung von Notunterkünften in Katastrophengebieten, ein Siedlungskonzept mit Wohn- und Arbeitsgebäude aus den Grundelementen „Stab“ und „Platte“ sowie der Abriss der Stadtautobahn Marburg und die Entwicklung eines nachhaltigen Stadtquartiers auf der frei werdenden Fläche.
Die Fachinhalte werden sowohl von den Lehrenden in Expertenrunden vermittelt als auch durch das Selbststudium in den Teams erarbeitet: Die Tutorinnen und Tutoren moderieren zu Beginn der Projektwoche nach dem „Siebensprung“ – einer Methode des Problem Based Learning - die erste Phase der Teamarbeit. Später übernehmen aus den eigenen Reihen gewählte Projektleiterinnen und -leiter die Aufgabe der Moderation und Koordination des Teams. Die Tutorinnen und Tutoren stehen weiterhin als Lernbegleiter ihrem Team zur Seite. Außerdem leiten sie Feedbackrunden zur Gruppendynamik und Arbeitsweise im Team an, um die Dialogfähigkeit der Studierenden zu erhalten.
Die Reflexion zur Teamdynamik ist auch fester Bestandteil der Präsentation, um den Erwerb der Schlüsselkompetenzen nicht dem Zufall zu überlassen. Denn neben der Auseinandersetzung mit einem beruflich anspruchsvollen Thema geht es in der Projektwoche um die Weiterentwicklung der eigenen überfachlichen Fähigkeiten, wie Selbstorganisation, Teamfähigkeit, rhetorisches Auftreten und Problemlöseverhalten.
In einer Generalprobe präsentieren die Projektteams ihre Ergebnisse vor einem Lehrendengremium, das ihnen ein fundiertes Feedback zur Art der Präsentation, dem rhetorischem Auftreten und dem Lösungsentwurf vermittelt. Einen Tag nach der Überarbeitung der Präsentation stellen die Teams ihre Endergebnisse auch den anderen Teams und Professoren vor und bekommen eine Rückmeldung zu ihrer Gruppenleistungen.
Die Komplexität der Aufgabenstellung erfordert die aktive Mitarbeit aller Gruppenmitglieder und bewirkt eine hohe Stabilität trotz der unterschiedlichen Voraussetzungen der Studierenden. Die Verschiedenheit ihrer Mitglieder hinsichtlich kultureller Herkunft sowie ihrer Wissensvoraussetzungen ist eine wichtige treibende Kraft für einen regen Austausch von Wissen und führt zu vielfältigen und originellen Lösungsvorschlägen.
Die Projektwoche wird von den Studierenden als eine bereichernde Form des Studieneinstiegs bewertet, die ihnen viel Spaß bereitet und sie in ihrer Studienwahl bestärkt hat. Aus Sicht der Lehrenden ist besonders erfreulich, dass es gelingt, für das weitere Studium wichtige überfachliche Kompetenzen zu verbessern und in den Folgeveranstaltungen auf diesen Kompetenzen aufbauen zu können. Durch die gemeinsame Arbeit der Lehrenden und Studierenden an diesem neuen Lehr-/Lernformat wurde nicht nur das Portfolio der eigenen Lehrkompetenz ergänzt, sondern auch der Dialog zwischen Lehrenden und Studierenden über das gemeinsame Verständnis von „guter Lehre“ und dem aktiven Lernen am Fachbereich angestoßen.
Die Projektwoche ist eine Maßnahme, die im Rahmen des Qualitätspakts Lehre durch das KiM-Projekts (Klasse in der Masse) mit Mittel des BMBFs gefördert worden ist.