„Gegenüber schriftlichen Klausuren sehe ich bei E-Prüfungen fast nur Vorteile“
Im Interview: Dr. Jens Bücking vom Zentrum für Multimedia in der Lehre (ZMML) der Universität Bremen.
1. Die Universität Bremen nutzt bereits seit 2004 E-Klausuren, 2007 wurde das Testcenter eingerichtet. Wie haben diese Entwicklungen Prüfungen an der Universität verändert?
Die E-Klausuren haben die Prüfungslandschaft der Universität bereichert, aber gesamtuniversitär gesehen nicht grundlegend verändert. Auch wenn wir mit aktuell ca. 8000 Prüfungsleistungen pro Semester im Testcenter einen neuen Rekordwert erreicht haben und dieser Service von allen Fachbereichen genutzt wird, macht dies trotzdem nur einen relativ geringen Teil aller Veranstaltungen bzw. Prüfungsleistungen der Universität aus. Wieviele Modulprüfungen pro Semester es genau sind kann niemand mit Gewissheit sagen, aber bei aktuell etwa 20.000 Studierenden sicher mehr als 60.000. Es war aber auch nie unser Ziel, möglichst viele Prüfungen auf eKlausuren umzustellen. Vielfältige Kompetenzen brauchen vielfältige Prüfungsformen.
2. Welches sind für Sie die wichtigsten „Lessons Learned“?
Die wichtigsten Langzeiterfahrungen lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen:
a) Die Validität von Klausuren lässt sich nicht am Format festmachen.
Entgegen noch immer bestehender Vorurteile bedeuten eKlausuren keine Reduktion auf MC-Fragen und auf die Abfrage auf Faktenwissen. Zum einen sind vielfältige Fragetypen im Einsatz, darunter auch viele offene Formate wie Freitext, Rechenaufgaben und Zeichnungen, zum anderen lassen sich auch mit Auswahlfragen Kompetenzen wie Anwendung, Verständnis und Analyse prüfen. Allerdings erfordern qualitativ hochwertige und valide Prüfungen ein großes prüfungsdidaktisches Know How und die Bereitschaft, die bei der Korrektur eingesparte Zeit zum Teil wieder in die Fragenerstellung zu reinvestieren. Beides unterstützen wir mit Beratungen, Schulungen, Workshops und der Programmierung technisch aufwändiger Fragen durch das ZMML.
b) Formative Prüfungen wären oft sinnvoller, setzen sich in Großveranstaltungen aber nicht durch.
Die im Rahmen der Bologna-Reform geforderte Kompetenzorientierung von Prüfungen, im Sinne eines erfolgreichen und sozial verantwortlichen Handelns in komplexen, authentischen Anforderungssituationen, erfordert meiner Ansicht nach individualisierte und vorlesungsbegleitende Formate wie z.B. ePortfolios. Eine solche Individualisierung und das damit einhergehende Diversitymanagement stehen allerdings im Widerspruch zu der in Bologna gleichfalls geforderten Standardisierung und Objektivierung. Hinzu kommt, das solche formativen Prüfungsformate meist wesentlich aufwändiger sind als die üblichen Abschlussprüfungen. Arbeitszeitersparnis und Objektivierung sind aber, neben den multimedialen Möglichkeiten und dem effektiven Qualitätsmanagment der Fragenkataloge, die Haupttriebfedern für den Umstieg auf eKlausuren. Dieser Widerspruch lässt sich schwer auflösen. Wir versuchen zumindest, die eKlausuren so kompetenzorientiert wie möglich zu gestalten, z.B. durch die Integration fachspezifischer Anwendungssoftware.
c) Studierende erwarten bei einer eKlausur mit ausschließlich geschlossenen Fragen oft die Abfrage von „Folienwissen“; und lernen entsprechend.
Leider haben nicht nur einige Lehrende sondern auch viele Studierende ein falsches Bild von den eKlausuren. In Erwartung von Multiple Choice und Faktenabfrage wird überwiegend auswändig gelernt, was ihnen dann bei der Konfrontation mit Transfer- und Verständnisfragen Probleme bereitet. Wichtig ist in jedem Fall eine hohe Transparenz zu den Lernzielen und zu der Prüfungsform, die z.B. durch die Durchführung von Probleklausuren erreicht werden kann. Leider bestätigt sich das Vorurteil der reinen Faktenabfrage aber auch allzuoft, was meiner Meinung nach aber kein Problem der eKlausuren sondern von Klausuren generell ist. Zu viele Prüfungen, auch die mit Freitextfragen, lassen sich allein dadurch bestehen, das die Foliensätze auswändig gelernt werden. Dafür muss dann noch nicht mal die Vorlesung besucht werden.
d) Ein Testcenter erleichtert die campusweite Etablierung sicherer und effizienter eAssessments
Ohne das Testcenter könnten wir unsere eKlausuren nicht in diesem Umfang und dieser Qualität durchführen. Dies haben auch andere Universitäten erkannt und ensprechende Zentren eröffnet; Beispiele sind die Universitäten Duisburg-Essen, FU-Berlin und Göttingen. Unsere Erfahrung zeigt aber auch, das die maximale Anzahl von eKlausuren pro Semester jetzt nicht mehr durch die Verfügbarkeit der Prüfungsplätze sondern durch die Betreuungskapazität
des eAssessment-Teams limitiert wird. Ohne entsprechend qualifiziertes Personal und Beratungskapazitäten geht es nicht.
3. Wo sind E-Prüfungen schriftlichen Prüfungen überlegen, wo sind ihre Grenzen?
Gegenüber schriftlichen Klausuren sehe ich fast nur Vorteile. Die Bewertung ist objektiver, Freitexte problemlos lesbar, der Korrekturaufwand sinkt bei gleichbleibender Qualität enorm und man gewinnt eine Vielzahl an zusätzlichen Möglichkeiten wie die Integration von Softwareanwendungen, komplexen Anlagen und Multimediaelementen. Auch die einfache statistische Auswertung der Prüfungsfragen und das damit mögliche Qualitätsmanagement von Prüfungen sind ein großer Vorteil. Grenzen gibt es vor allem bei mathematischen Fächern in der Darstellung von komplexen Lösungswegen, die auch mit guten Formeleditoren etc. nicht aufgehoben werden. Auch aufwändige Zeichnungen sind mit der Maus nur mit viel Übung machbar, hier muss es in eKlausuren meist bei einfachen Schemata bleiben. In einigen Fällen haben unsere Dozenten deshalb hybride Prüfungen eingeführt, bei denen einige wenige Aufgaben auf Papier, der Großteil aber am PC gelöst werden.
4. Wie haben sich die Anforderungen an die Prüfenden verändert?
Die Anforderungen an die Prüfungen haben sich deutlich verändert. Eine Umstellung auf eKlausuren erfordert bereits bei der Konzeption der Veranstaltung eine intensive Abstimmung der Prüfungsfragen und deren Bewertung auf die Lernziele der Veranstaltung. Dies ist ein äußerst positiver Nebeneffekt. Die größte Herausforderung ist aber, automatisch auswertbare Fragen zu entwerfen, die einerseits auch höhere Kompetenzstufen wie Verständnis prüfen und andererseits frei von ungewollten Lösungshinweisen sind. Dies ist ein zentrales Thema unserer Beratungen und Schulungen, auf unserer Webseite eassessment.uni-bremen.de haben wir zusätzlich verschiedene Leitfäden und Fragenbeispiele veröffentlicht.
5. Was sind die derzeitigen/kommenden Herausforderungen?
Wir sind dabei, unser Spektrum an elektronischen Prüfungsformaten weiter auszubauen, z.B. um den Einsatz von Voting-Systemen für Life-Assessments und Evaluationen in großen Vorlesungen. Ein großes Thema sind ePortfolios, die wir bereits in Pilotprojekten einsetzen und die, nicht nur aber auch, für kompetenzorientierte Prüfungen eingesetzt werden können. Außerdem wollen wir die Aktivitäten auf der Lernplattform, z.B. für den Übungsbetrieb, näher an die eKlausuren heranrücken. Bisher findet dies oft noch in getrennten Settings statt. Für das kommende Semester plane ich, eKlausur-Anwender bestimmter Fachgebiete und Fachkulturen in Workshops zusammenzubringen, damit diese sich über ihre prüfungsdidaktischen Erfahrungen und Lösungsansätze austauschen. Ich bin gespannt, ob dies gelingen wird, denn bisher ist es eher unüblich, sich hier in die Karten sprich Prüfungsfragen gucken zu lassen.
(Interview aus: nexus-Newsletter)
Weitere Informationen auf den Internetseiten des Zentrum für Multimedia in der Lehre (ZMML) der Universität Bremen.