Das Projekt nexus ist seit dem 30. April 2020 abgeschlossen. Alle Informationen und Texte entsprechen dem Stand zum Projektende und werden nicht weiter aktualisiert. Mit dem Themenbereich Anrechnung und Anerkennung befasst sich das aktuelle HRK-Projekt MODUS und für Studierende die Infoseite AN!.

Kompetenzorientiertes Prüfen

12. Juli 2016 - Duisburg

Eines der zentralen Ziele der Bologna-Reform ist die Fokussierung auf kompetenzorientierte Lehre. Kompetenzorientiert ist die Lehre, wenn die Studierenden
und ihr Lernprozess im Mittelpunkt stehen. Formulierte Lernergebnisse, kompetenzorientierte Lehr-Lern-Formate und entsprechende Prüfungsformate
sind die Kernelemente der Kompetenzorientierung.

Prüfungen dienen Studierenden wesentlich zur Überprüfung des Lernfortschritts.
Sie steuern das Lernverhalten und entscheiden über den inhaltlichen und formalen Studienerfolg. Lehrende erhalten über die Prüfungsergebnisse eine Rückmeldung dazu,
ob die angestrebten Lernergebnisse erreicht wurden. Bedingung dafür ist, dass die Prüfungsaufgaben auf die angestrebten Lernergebnisse abgestimmt sind. Hierbei ergeben sich einige Herausforderungen: Beginnend bei der Formulierung der Lernergebnisse über die Auswahl an Lehr-Lern-Formaten bis hin zu der Entwicklung
von Prüfungsaufgaben, die auch das Niveau der Lernergebnisse adressieren.

Diese Herausforderungen griff das Projekt nexus in der Tagung in Duisburg auf:
Sie zeigte Beispiele guter Praxis des kompetenzorientierten Prüfens auf und beförderte
so das didaktische Gespräch zu diesem Thema. In Form von Impulsvorträgen, Plenumsdiskussionen und fachspezifischen Workshops konnten die rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Wissen über kompetenzorientierte Prüfungsformate vertiefen und sie in ihrer Vielfalt diskutieren.


Vortragsfolien, Reflexionen & Abstracts

Einführung & Zielsetzung

Dr. Peter Zervakis, Hochschulrektorenkonferenz / nexus

Prüfungen haben eine Schlüsselstellung für die Qualität der Lehre an Hochschulen. Sie haben eine Steuerungsfunktion sowohl für das Lehren wie für das Lernen der Studierenden. Das ist der Grund, weshalb – und hier sei explizit auf den Wissenschaftsrat verwiesen – die Qualität der Prüfungen als das entscheidende Erfolgskriterium der Lehre angesehen werden muss.

Derzeit gibt es in Deutschland nur sehr wenig Forschung und Daten über die Art und Weise, wie Prüfungen von den Lehrenden gestaltet und genutzt werden und von den Studierenden vorbereitet und bearbeitet werden. Aber soweit ist erkennbar, dass Steuerungsmöglichkeiten von Prüfungen für das Lehren und Lernen bisher noch weitgehend ungenutzt bleiben. Warum? 

  1. Prüfungen werden von den Lehrenden oft als lästige Anhängsel an die Lehrveranstaltung wahrgenommen. Dementsprechend werden Klausuren erst mit dem Ende der Veranstaltung erstellt und es wird relativ wenig Zeit für die Prüfungserstellung eingesetzt.
  2. Der Korrektur- und Auswertungsaufwand wird als sehr hoch bezeichnet, aber es fehlt an Verfahren, um diesen in den Griff zu bekommen. Gemeinsame Anstrengungen zur Prüfungserstellung (z. B. Erstellung von Datenbanken, Austausch von Prüfungsfragen) sind extrem selten.
  3. Bei der Prüfungserstellung wird vorwiegend auf Foliensätze, Vorlesungsskripte und Lehrbücher zurückgegriffen. Nur selten erfolgt eine Rückbindung an die Zielbeschreibungen in den Modulen.
  4. Bei der Korrektur und Auswertung von Klausuren bleiben einfache statistische Auswertungsverfahren ungenutzt, um Hinweise auf die Qualität der Fragen zu gewinnen (z. B. Schwierigkeit und Trennschärfe).
  5. Studierende betrachten bei der Prüfungsvorbereitung das Bearbeiten von „Altklausuren“ als besonders hilfreich. Aber welche Kompetenz wird dann erfasst, wenn dieses Vorgehen erfolgreich ist?

Ein wesentliches Merkmal der Europäischen Hochschulreform ist der Wechsel von einer reinen Inputorientierung (des Lehrens) zur stärkeren Berücksichtigung der Lernergebnisse (des Outputs) unter dem Stichwort „Kompetenzorientierung“. Hier kommt auch die Einbettung der Prüfungen in den gesamten kompetenzorientierten Lehr- und Lernprozess zu tragen.

In Modulbeschreibungen sollte entsprechend dargelegt werden, was Studierende am Ende der Veranstaltung wissen, können und beherrschen sollten. Mit Prüfungen (oder Testverfahren in einem weiteren Sinne) kann man feststellen, ob und in wie weit die Studierenden das können, was sie laut Modulbeschreibungen am Ende beherrschen sollten. Zumindest besteht die Erwartung, dass die Prüfungsanforderungen den in den Modulen beschriebenen Zielen entsprechen.

Das heißt: Prüfungen können als Instrument verstanden werden, mit dem curriculare Anforderungen konkretisiert und operationalisiert werden.

Selbstverständlich erfassen Prüfungen immer nur einen Ausschnitt aus dem Spektrum an Lehrzielen, aber sie sollten die wirklich wichtigen Ausschnitte aufgreifen. Eine entsprechende Konkretisierung der Ziele hilft entscheidend bei der Konzeption und Ausrichtung einer Lehrveranstaltung, denn Grundlegendes und Wesentliches wird besser erkannt und bleibt im Blick. Nicht zuletzt können Prüfungen als Instrument fungieren, um festzustellen, ob die in Modulen formulierten Lehrziele tatsächlich erreicht wurden. Darin steckt ebenfalls eine wichtige Rückmeldung für die Lehrenden. Insofern kann man den Prüfungen eine Steuerungsfunktion für das Lehren zusprechen.

Dass Prüfungen auch das Lernen der Studierenden steuern, liegt auf der Hand. Damit geht es nicht vorrangig um die Frage nach der Prüfungsrelevanz. Auch hochgradig intrinsisch motivierte und interessierte Studierende kommen nicht daran vorbei, dass sie die Hürden nehmen müssen, die mit Prüfungen aufgestellt werden: Mit Blick auf den angestrebten Studienerfolg müssen alle Studierenden ihr Lernen auf die Prüfungsanforderungen ausrichten. Nachdem der Prüfungserfolg letztlich entscheidend ist, richten Studierende ihr Lernen an den angekündigten, erwarteten oder unterstellten Prüfungsanforderungen aus. Dabei ist nicht nur relevant, was die Inhalte der Prüfungen sein werden, sondern welche Art von Wissen und Können getestet werden.

Selbstverständlich bedeutet es für Lehrende (zusätzlichen) Aufwand, die Qualität der von ihnen genutzten Prüfungen kritisch zu prüfen und Stück um Stück weiter zu entwickeln. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sich die für Module oder Studiengänge zuständigen Kolleginnen und Kollegen zusammensetzen, um gemeinsam an Prüfungen zu arbeiten. Hierbei ergeben sich einige Herausforderungen: Beginnend bei der Formulierung der Lernergebnisse über die Auswahl an Lehr-Lern-Formaten bis hin zu der Entwicklung von Prüfungsaufgaben, die auch das Niveau der Lernergebnisse adressieren. Der Effekt jedoch wäre nicht nur eine bessere Prüfungsqualität und gezielte Lerneffekte, sondern auch eine Verständigung über erforderliche Verfahren und gemeinsame Standards. Hierzu bedarf es allerdings zusätzlicher Ressourcen und Anreize sowie eines engeren Austausches zwischen Hochschuldidaktik, Fortbildung und Qualitätssicherung.

Vortrag

Auf dem Weg zu gutem Prüfen - Herausforderungen bei der Umsetzung kompetenzorientierten Lehrens und Prüfens
Dr. Christoph Schindler, TUM School of Education

Gute Prüfungen zu entwickeln, benötigt Zeit – doch der Aufwand lohnt sich.

Erst kurz vor knapp fangen die meisten Studierenden an, sich für eine Prüfung vorzubereiten und orientieren sich dann hauptsächlich an stark vorstrukturierten Vorbereitungsmedien wie Vorlesungsskripts. Auch Lehrende setzen sich meist erst sehr spät im Semester mit der Konzeption einer Prüfung auseinander. Diese Ergebnisse einer Befragung zur Prüfungspraxis an der Technischen Universität München (TUM), die Dr. Christoph Schindler in seinem Einführungsvortrag referierte, decken sich mit den Erfahrungen vieler.

Eine Breitenwirkung kann jedoch nur dann erzielt werden, wenn das Konzept des kompetenzorientierten Lehrens und Prüfens auf Hochschul- und Fakultätsebene in die Qualitätsstandards eingebunden wird und Qualifizierungsprogramme für Lehrende langfristig angelegt werden. Der Qualitätsentwicklungsprozess sollte über einen längeren Zeitraum in Teams von Lehrenden und Moderatoren umgesetzt werden. In ihrem Projekt „Herausforderung Prüfen“ setzten die Münchner daher auf das gegenseitige Coaching von Lehrenden, die gemeinsam ihre Prüfungen weiterentwickelten. Für die TUM habe sich dies als ein nachhaltiger Ansatz mit großer Breitenwirkung bewährt, so Christoph Schindler.

Lehrende sollten zudem mit der Optimierung dessen beginnen, was schon da ist; oftmals sind in den bereits bestehenden Prüfungen sehr gute Grundlagen vorhanden, die im Sinne der Kompetenzorientierung optimiert werden können – wichtig hierbei sind der kollegiale Austausch bei der Erarbeitung der Lernziele und die Rückkopplung mit den Studierenden.

Weitere Informationen zum Projekt „Herausforderung Prüfen“ finden sich unter: www.lehren.tum.de/themen/pruefungen/herausforderung-pruefen/

Workshops
  • Workshop "Ingenieur­wissenschaften"
    Poster & Reflexion: Prof. Dr. Jutta Abulawi,
    Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg &
    Dr.-Ing. Christian K. Karl, Universität Duisburg-Essen

  • Workshop "Kultur- und Gesellschaftswissenschaften"
    Präsentation & Reflexion: Dr. Daniel Lambach, Universität Duisburg-Essen
  • Workshop "Medizin- und Gesundheits­wissenschaften"
    Präsentation
    & Reflexion: Dr. Tim Peters, Ruhr-Universität Bochum &
    Angelika Hiroko Fritz, Universität Duisburg-Essen
  • Workshop "Wirtschafts­wissenschaften"
    Präsentation & Reflexion: Prof. Dr. Erwin Amann, Universität Duisburg-Essen


Gesamtfazit der Workshops

Der Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung muss umfassende Reformen der Hochschullehre nach sich ziehen, wenn er konsequent vollzogen werden soll. Dies betrifft die Ebene der einzelnen Lehrveranstaltung ebenso wie die studienorganisatorische und die hochschulstrategische Ebene.

Eine kompetenzorientierte Prüfungskultur muss als hochschulweites und verbindliches Change-Projekt etabliert werden, welches bottom-up (z.B. durch Multiplikatoren), top-down (durch entsprechende Unterstützung durch die Hochschulleitung) sowie durch horizontale Diffusion und Kooperation (Netzwerke unter Lehrenden, peer learning und ebenso Feedbackinstrumente für Studierende) umgesetzt wird. Ausgangspunkt ist die Definition eines hochschulweiten und fachbereichsspezifischen Kompetenzbegriffs, der in einer konsequenten und für alle Beteiligten transparenten Verknüpfung von Kompetenzzielen mit Lehr- und Prüfungsmethoden mündet.

Hochschuldidaktische Fortbildungen bilden bei der Umsetzung kompetenzorientierter Lehr- und Prüfungsformate über alle Fachbereiche hinweg ein zentrales Element, sollten aber im Zusammenhang mit fachdidaktischer Expertise angeboten werden. Innovative Prüfungsformate sind - abhängig von Rahmenbedingungen - in allen Fächern umsetzbar. Aber auch traditionelle Prüfungsformen, die aus den Massenfächern nicht wegzudenken sind, können kompetenzorientiert gestaltet werden. Relevant sind die Aufgabenstellung und die Bewertungskriterien.

Trotz der Diversität der einzelnen Fachkulturen zeigten sich in der Lehr- und Prüfungspraxis gemeinsame Herausforderungen, die es durch hochschulweiten und -übergreifenden Austausch und Kooperation zu lösen gilt.

Podium: Faires Prüfen aus studentischer Sicht
  • Abstract: Julian Becker,
    Sprecher FSR WiIng, Universität Duisburg-Essen, Wirtschaftsingenieurwesen
  • Abstract: Lucas Constantin Wurthmann,
    Studentische Hilfskraft, Universität Duisburg-Essen, Politikwissenschaften
  • Abstract: Ina Kickermann,
    Studentische Tutorin, Ruhr-Universität Bochum, Medizin
  • Abstract: Josefine Schwarz,
    Studentische Hilfskraft, Universität Duisburg-Essen, BWL

Moderation: Dr. Sylvia Ruschin, Universität Duisburg-Essen

Das Podium beleuchtete die Thematik des kompetenzorientierten Prüfens aus Sicht der Studierenden unterschiedlicher Fachbereiche, welche sich entlang übergreifender Leitfragen mit den spezifischen Herausforderungen ihrer Fächer auseinandersetzten:  

Faire Prüfungen: Wann ist eine Prüfung fair? Was zeichnet eine solche Prüfung aus? Welche Faktoren spielen dabei eine wichtige Rolle?
Eine faire Prüfung zeichnet sich durch eine faire Vorbereitung aus. Lehrende sollten festlegen und z. B. durch Leitfäden kommunizieren, was sie von Studierenden erwarten und ihnen Werkzeuge (z. B. Übungen, Lernaufgaben online oder die Einübung von Fallbeispielen) an die Hand geben, mit welchen sie die geforderten Aufgaben lösen können. Prüfungen sollten zudem so ausgerichtet sein, dass sie mehrere Taxonomiestufen anfragen und Studierende so die Chance bekommen, neben Wissensabfragen auch Anwendungsbezüge aufzeigen zu können. Letztlich müssen der zeitliche Aufwand und der Rahmen einer Prüfung realistisch und umsetzbar sein.  

Problemfeld Prüfungen: Was bereitet bei Prüfungen die größten Schwierigkeiten?
Als größte Schwierigkeiten wurden in schriftlichen Klausuren die Zeit und der Umfang an Fragen bewertet. Kompetenzen, die man eigentlich hätte, können durch den hohen Zeitdruck oft nicht gezeigt werden. Die hohe Anzahl an Klausuren erfordert von den Studierenden zudem teils rationale Lernstrategien, nach welchen der Vorbereitungsaufwand pragmatisch kalkuliert werden muss und entsprechende Prüfungsergebnisse in Kauf genommen werden.  

Feedback über Leistungsstand: Erhalten Studierende ausreichend Feedback von Lehrenden über ihren Leistungsfortschritt? Und wenn ja: In welcher Form? Welche Vor- und Nachteile haben für die Studierenden formative Prüfungselemente?
Als Feedback und zur Kontrolle des Leistungsfortschritts wünschen sich Studierende Probe- und Vorklausuren oder Übungsaufgaben, die ihren Lernprozess begleiten. Ebenso fördern Kleingruppenarbeiten und Peer-Assessments den Austausch.
Persönliches Feedback wie eine Klausurnachbesprechung wird seitens der Studierenden oftmals aus unterschiedlichen Gründen nicht angenommen: rationales/ökonomisches Lernverhalten (Feedback oft zu spät, vieles braucht man im weiteren Verlauf des Studiums nicht mehr, baut nicht aufeinander auf); fehlende intrinsische Motivation durch fehlende Kommunikation des Anwendungsbezugs; Angst vor qualifizierter Rückmeldung oder keine Zeit für Feedback.
Einigkeit herrschte beim studentischen Podium darüber, dass die Gestaltung kompetenzorientierter Lehrformate nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Lehrenden alle Studierenden „erreichen“. Bei fehlender Anwesenheitspflicht können z. B. zahlreiche Lehrformate nicht effektiv und nachhaltig umgesetzt werden. So könnten beispielsweise E-Learning-Formate dabei helfen, eine entsprechende Flexibilität für Studierende und Lehrende zu ermöglichen. Zudem sollten Studieninhalte darauf geprüft werden, was wirklich notwendig ist, damit kompetenzorientiert gelehrt und eine größere Wahlfreiheit realisiert werden kann.  

Transfer in die Praxis: Welche Prüfungsformate bereiten aus Sicht der Studierenden am ehesten auf den Transfer in die Praxis vor?
Im Bereich der Medizin und der Gesundheits­wissenschaften erweisen sich Lehrveranstaltungen am Simulationspatienten und OSCE-Formate (Objective Structrured Clinical Examination) als besonders anwendungsorientiert. In geisteswissenschaftlichen Fächern wurden schriftliche Ausarbeitungen als geeigneter diskutiert, um die für den Fachbereich relevanten Kompetenzen einzuüben als z. B. Klausuren. Kleingruppenarbeiten an praktischen Aufgabenstellungen oder Fallstudien wurden für die ingenieur- und wirtschaftswissenschaftlichen Fächer als besonders geeignet diskutiert. Kompetenzorientierte Prüfungsformate, z. B. praxisrelevante Präsentationen, die fachliche Kompetenzen und Schlüsselkompetenzen der Studierenden fördern, sollten in allen Fachbereichen in die Prüfungspraxis eingebunden werden.
Solche Prüfungsformate bedeuten für Lehrende oftmals einen höheren Vorbereitungs-, Betreuungs- und Korrekturaufwand. Zudem müssen sich diese mit der Frage nach Gruppen- versus Einzelbenotung beschäftigen.



Fotos: Projekt nexus & Universität Duisburg-Essen