Dr. Peter Zervakis, Hochschulrektorenkonferenz / nexus
Prüfungen haben eine Schlüsselstellung für die Qualität der Lehre an Hochschulen. Sie haben eine Steuerungsfunktion sowohl für das Lehren wie für das Lernen der Studierenden. Das ist der Grund, weshalb – und hier sei explizit auf den Wissenschaftsrat verwiesen – die Qualität der Prüfungen als das entscheidende Erfolgskriterium der Lehre angesehen werden muss.
Derzeit gibt es in Deutschland nur sehr wenig Forschung und Daten über die Art und Weise, wie Prüfungen von den Lehrenden gestaltet und genutzt werden und von den Studierenden vorbereitet und bearbeitet werden. Aber soweit ist erkennbar, dass Steuerungsmöglichkeiten von Prüfungen für das Lehren und Lernen bisher noch weitgehend ungenutzt bleiben. Warum?
- Prüfungen werden von den Lehrenden oft als lästige Anhängsel an die Lehrveranstaltung wahrgenommen. Dementsprechend werden Klausuren erst mit dem Ende der Veranstaltung erstellt und es wird relativ wenig Zeit für die Prüfungserstellung eingesetzt.
- Der Korrektur- und Auswertungsaufwand wird als sehr hoch bezeichnet, aber es fehlt an Verfahren, um diesen in den Griff zu bekommen. Gemeinsame Anstrengungen zur Prüfungserstellung (z. B. Erstellung von Datenbanken, Austausch von Prüfungsfragen) sind extrem selten.
- Bei der Prüfungserstellung wird vorwiegend auf Foliensätze, Vorlesungsskripte und Lehrbücher zurückgegriffen. Nur selten erfolgt eine Rückbindung an die Zielbeschreibungen in den Modulen.
- Bei der Korrektur und Auswertung von Klausuren bleiben einfache statistische Auswertungsverfahren ungenutzt, um Hinweise auf die Qualität der Fragen zu gewinnen (z. B. Schwierigkeit und Trennschärfe).
- Studierende betrachten bei der Prüfungsvorbereitung das Bearbeiten von „Altklausuren“ als besonders hilfreich. Aber welche Kompetenz wird dann erfasst, wenn dieses Vorgehen erfolgreich ist?
Ein wesentliches Merkmal der Europäischen Hochschulreform ist der Wechsel von einer reinen Inputorientierung (des Lehrens) zur stärkeren Berücksichtigung der Lernergebnisse (des Outputs) unter dem Stichwort „Kompetenzorientierung“. Hier kommt auch die Einbettung der Prüfungen in den gesamten kompetenzorientierten Lehr- und Lernprozess zu tragen.
In Modulbeschreibungen sollte entsprechend dargelegt werden, was Studierende am Ende der Veranstaltung wissen, können und beherrschen sollten. Mit Prüfungen (oder Testverfahren in einem weiteren Sinne) kann man feststellen, ob und in wie weit die Studierenden das können, was sie laut Modulbeschreibungen am Ende beherrschen sollten. Zumindest besteht die Erwartung, dass die Prüfungsanforderungen den in den Modulen beschriebenen Zielen entsprechen.
Das heißt: Prüfungen können als Instrument verstanden werden, mit dem curriculare Anforderungen konkretisiert und operationalisiert werden.
Selbstverständlich erfassen Prüfungen immer nur einen Ausschnitt aus dem Spektrum an Lehrzielen, aber sie sollten die wirklich wichtigen Ausschnitte aufgreifen. Eine entsprechende Konkretisierung der Ziele hilft entscheidend bei der Konzeption und Ausrichtung einer Lehrveranstaltung, denn Grundlegendes und Wesentliches wird besser erkannt und bleibt im Blick. Nicht zuletzt können Prüfungen als Instrument fungieren, um festzustellen, ob die in Modulen formulierten Lehrziele tatsächlich erreicht wurden. Darin steckt ebenfalls eine wichtige Rückmeldung für die Lehrenden. Insofern kann man den Prüfungen eine Steuerungsfunktion für das Lehren zusprechen.
Dass Prüfungen auch das Lernen der Studierenden steuern, liegt auf der Hand. Damit geht es nicht vorrangig um die Frage nach der Prüfungsrelevanz. Auch hochgradig intrinsisch motivierte und interessierte Studierende kommen nicht daran vorbei, dass sie die Hürden nehmen müssen, die mit Prüfungen aufgestellt werden: Mit Blick auf den angestrebten Studienerfolg müssen alle Studierenden ihr Lernen auf die Prüfungsanforderungen ausrichten. Nachdem der Prüfungserfolg letztlich entscheidend ist, richten Studierende ihr Lernen an den angekündigten, erwarteten oder unterstellten Prüfungsanforderungen aus. Dabei ist nicht nur relevant, was die Inhalte der Prüfungen sein werden, sondern welche Art von Wissen und Können getestet werden.
Selbstverständlich bedeutet es für Lehrende (zusätzlichen) Aufwand, die Qualität der von ihnen genutzten Prüfungen kritisch zu prüfen und Stück um Stück weiter zu entwickeln. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sich die für Module oder Studiengänge zuständigen Kolleginnen und Kollegen zusammensetzen, um gemeinsam an Prüfungen zu arbeiten. Hierbei ergeben sich einige Herausforderungen: Beginnend bei der Formulierung der Lernergebnisse über die Auswahl an Lehr-Lern-Formaten bis hin zu der Entwicklung von Prüfungsaufgaben, die auch das Niveau der Lernergebnisse adressieren. Der Effekt jedoch wäre nicht nur eine bessere Prüfungsqualität und gezielte Lerneffekte, sondern auch eine Verständigung über erforderliche Verfahren und gemeinsame Standards. Hierzu bedarf es allerdings zusätzlicher Ressourcen und Anreize sowie eines engeren Austausches zwischen Hochschuldidaktik, Fortbildung und Qualitätssicherung.