Univ.-Prof. Dr. Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität Berlin
Sehr geehrter Herr Tauch,
sehr geehrter Herr Dr. Zervakis,
verehrter Herr Prof. Apostolopoulos,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
es freut mich sehr, Sie erneut zu einer Tagung des Projekts nexus an der Freien Universität Berlin begrüßen zu dürfen. Anknüpfend an die erste Monitoring-Tagung vom Dezember 2015 werden Sie heute den Dialog zur Nutzung empirischer Daten innerhalb und außerhalb von Hochschulen fortsetzen. Dem Veranstaltungsteam der Hochschul-rektorenkonferenz und des Centers für Digitale Systeme der Freien Universität ist es wieder gelungen, ein abwechslungsreiches Programm mit interessanten Vorträgen und Gesprächsrunden zusammenzustellen.
Das von Ihnen gewählte Thema lädt zur Betrachtung aus ganz unterschiedlichen Perspektiven ein. Als Präsident einer Universität, die systemakkreditiert ist und stark in datengestützte Systeme investiert, erlaube ich mir zum Auftakt dieser Konferenz ein paar kritische Bemerkungen zum Beitrag des Monitorings – ohne die Problematik von Studienabbrüchen an sich in Frage stellen zu wollen.
Studienabbrüche sind aus gesellschaftlicher Perspektive nicht erwünscht. Die Politik fordert nicht nur, dass für immer mehr Abiturientinnen und Abiturienten Studienplätze zur Verfügung gestellt werden – sie fordert selbstverständlich auch, dass das aufgenommene Studium erfolgreich beendet wird. Akademischen Abschlüssen kommt auf dem Arbeitsmarkt ein immer wichtigerer Stellenwert zu: Mehr als jede/r vierte Erwerbstätige in Deutschland hat heute einen Hochschulabschluss. Angesichts von Milliardenprogrammen, mit denen Bund und Länder den Ausbau von Studienplätzen unterstützen wird die Messlatte für die von der Politik eingeforderten Erfolge immer höher gehängt. Die Hochschulen werden in die Pflicht genommen – ihnen wird die Verantwortung für den Studienerfolg von immer mehr Studierenden übertragen. Wenn die Absolventenzahlen nicht in gleichem Maße steigen wie der Aufwuchs der Kohorten, werden hierfür – natürlich – die Hochschulen verantwortlich gemacht.
An deutschen Universitäten liegen die Abbruchquoten heute bei etwa einem Drittel, an Fachhochschulen bei knapp 25 Prozent. Diese Quoten entsprechen durchaus denen in der nicht-akademischen Berufsausbildung und liegen damit also in einem vergleichsweise „normalen“, wenn auch sicher nicht erstrebenswerten Rahmen.
Meiner Ansicht nach hängt der Studienerfolg weder von einer Hochschule noch von einer Studierenden bzw. einem Studierenden allein ab. Studienerfolg ergibt sich vielmehr aus einem Wechselspiel, das von zahlreichen Einflüssen geprägt wird. Sehr häufig haben wir es mit sich überlagernden Effekten zu tun: Studienanfängerinnen und -anfänger „verwählen“ sich, sie beginnen ihr Studium mit einer falschen Erwartung an das Fach oder sie schreiben sich erst einmal „irgendwo“ ein und entscheiden sich erst später für das Fach, das sie tatsächlich studieren möchten. Umso wichtiger erscheint es, die jungen Menschen in ihren Orientierungs-, Such- und Entscheidungsphasen zu unterstützen. Viele Hochschulen haben deshalb Maßnahmen eingeleitet, die bei Orientierungsangeboten, bei der Gestaltung der Studieneingangsphase und bei der Stärkung der Studienmotivation ansetzen.
Wir beobachten eine kontinuierlich wachsende Studienneigung, die mit der Abkehr von Berufsausbildung und anderen Wegen in den Beruf einhergeht. Bei einem wachsenden Anteil an Studierenden ist es naheliegend, dass es auch eine größere Zahl an jungen Menschen gibt, die nicht nur in einem anderen Fach, sondern vielleicht in einem anderen Ausbildungsprogramm (vorerst) besser aufgehoben sind.
Fach- oder auch Hochschulwechsel sollten aus hochschulpolitischer Sicht nicht gleich negativ bewertet werden: Sie bedeuten noch nicht den Abbruch des Studiums insgesamt, sondern sind vielmehr Ausdruck einer durchaus wünschenswerten biographischen oder räumlichen Studierendenmobilität bzw. -flexibilität.
An der Freien Universität Berlin sehen wir derzeit sehr deutlich, dass die erhöhten Aufnahmezahlen bei Studienanfängerinnen und -anfängern zu einem deutlich erhöhten Schwund führen. Dies kann sicher auf eine schlechtere Betreuungssituation zurückgeführt werden – aber nicht nur! Ein Studienabbruch sollte nicht mit einem generellen Scheitern des beruflichen Lebensweges gleichgesetzt werden. In der Tat wäre vielen geholfen, wenn es flexiblere Regelungen für einen Wechsel beispielsweise aus der Universität in die betriebliche Ausbildung oder in andere Karrierewege gäbe.
Selbstverständlich sehen wir uns als Universität sowohl der Gesellschaft als auch unseren Studierenden gegenüber verpflichtet, einen Beitrag zur Vermeidung von Umständen zu leisten, die den Studienabbruch fördern könnten. Genau hier setzt das Monitoring an: Datengestützte Analysen helfen uns, Faktoren zu identifizieren, die wir als Universität beeinflussen können.
Hochschulinterne Ursachenanalysen sind aufwendig. An der Freien Universität verfügen wir über ein sehr professionelles und ausgefeiltes Berichts- und Qualitätsmanagement-System mit enger Einbettung in die zentralen Steuerungsprozesse. Wir haben langjährige Erfahrungen mit solchen Instrumenten und deren Anwendung.
Datengestützte Analysen spiegeln unser „gefühltes Wissen“ und geben uns Anlass zur kritischen Reflektion der Studiensituation insgesamt. Das Monitoring hilft uns dabei, Informationen zu den Vorkenntnissen, Erwartungen und zur Motivation von Studienanfängerinnen und -anfängern zu gewinnen. Es bietet Einblick in das Studierverhalten und erlaubt Rückschlüsse auf die Wirksamkeit von Orientierungs- und Beratungsangeboten. Studienverlaufsdaten sind für das Qualitätsmanagement der Hochschulen mindestens ebenso wichtig wie für die empirische Hochschul- und Wissenschaftsforschung.
So wichtig die Analyse von Daten und Indikatoren für die Unterstützung und Begleitung der Hochschulsteuerung ist, so sehr möchte ich davor warnen, Hochschulentwicklung und -finanzierung darauf zu reduzieren. Quantitative Output-Indikatoren beschreiben die Wirklichkeit an unseren Hochschulen und deren Entwicklung nur sehr eingeschränkt.
Wir sollten die Ergebnisse des Monitorings deshalb nicht überschätzen Für die Erhebungen kann noch so viel Personal bereitgestellt werden, und die erfassten Daten können noch so kleinteilig sein – eine eindeutige Ursache-Wirkung-Beziehung lässt sich daraus nicht zwangsläufig erkennen. Wir sollten also nicht allzu „datengläubig“ an die Diskussion zum Studienerfolg herangehen, sondern auch das Alltagswissen wertschätzen. Und wir sollten realistisch einschätzen, was wir tatsächlich steuern und beeinflussen können.
Aus unseren eigenen Erhebungen und Beobachtungsversuchen wissen wir, dass sich mit wachsender Semesterzahl das Konstrukt „Kohorte“ immer weiter verläuft, weil das individuelle Verhalten von Studierenden immer stärker durchschlägt und mit wachsenden Fachsemestern eine immer kleinere Zahl von Studierenden einen Standardverlauf nach Musterstudienplan aufweist. Für diese vielfältige und „bunte“ Realität brauchen wir mehr „atmende“ Strukturen und weniger Starrheit. Und wir sollten uns von dem Glauben lösen, diese Realität durch ein kleinteiliges, modulbezogenes Monitoring messen und beschreiben zu können.
Hochschulintern haben wir es mit einer immer größeren Diversifizierung der Studierendengruppen zu tun. Studierende, die sich für die Wissenschaft qualifizieren möchten, stehen neben solchen, die einen Weg in die Berufspraxis außerhalb des Wissenschaftssystems suchen. Durch die höheren Anteile von Studierenden an der Gesamtbevölkerung nimmt die Diversität in Bezug auf persönliche Hintergründe, Bildungsvorlauf, Studienmotivation, Sprachkenntnisse etc. zu. Hierauf muss die Universität mit einer hohen Binnendifferenzierung im Rahmen ihrer Angebote reagieren, ohne aber jeweils spezifische Angebote machen zu können, weil dafür die Gruppen zu klein sind oder sich die Unterscheidungsmerkmale der Messbar- oder auch Definierbarkeit entziehen bzw. zu sehr in persönliche Belange der einzelnen Personen eingreifen.
In jedem Fall ist sorgfältig abzuwägen, welche Datenkategorien erfasst werden sollen und welche Erklärungs- und Interventionsansätze diese eigentlich liefern können. Es macht keinen Sinn, mit viel Aufwand Daten auszuwerten, die letztlich kaum zusätzliche Erklärungen bieten. Eine gewisse Selbstbeschränkung erscheint also durchaus angebracht.
Sinnvoll sind hingegen der kontinuierliche Dialog und regelmäßige Befragungen von Studierenden, Exmatrikulierten und Absolventen, wie wir es in unserem Qualitätssystem fest verankert haben. Die Qualität dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, wenn wir die Studienerfolgsquote verbessern möchten. Eine Steigerung der Absolventenzahlen darf schließlich nicht mit einer Absenkung unserer akademischen Standards einhergehen. Anderenfalls würden wir das Qualifikationsniveau unserer Absolventinnen und Absolventen gefährden und den Erwartungen sowohl des Arbeitsmarktes als auch der Politik und der Gesellschaft nicht gerecht werden.
Als Fazit möchte ich festhalten: Moderne und professionelle Hochschulsteuerung kann auf solide und methodenbasierte empirische Befunde und datengestützte Analysen nicht verzichten. Genauso wichtig ist aber ein sehr reflektierter und bewusster Umgang mit diesen Informationen und deren Einbettung in qualitative Betrachtungen, um Fehlsteuerungen zu vermeiden.
Zu dieser Reflektion möchte ich uns alle ermuntern. Es würde mich sehr freuen, wenn die heutige Tagung einen Beitrag hierzu leisten könnte. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen, meine Damen und Herren, zahlreiche neue Erkenntnisse, hilfreiche Anregungen für die Praxis und einen intensiven Dialog zu diesem aus hochschulpolitischer Sicht sehr wichtigen Thema.