Ein Streitgespräch zwischen
Prof. Dr. Wolfgang Meseth, Prof. Dr. Malte Schwinger, Dr. Jost Stellmacher und Prof. Dr. Evelyn Korn (Philipps-Universität Marburg)
Zusammenfassung (Sebastian Becker, Carolin Müller und Vera Wolf, HRK nexus):
Der Frage, wie sich kompetenzorientiertes Prüfen an Universitäten im Spannungsfeld zwischen Berufsfeldbezug und Wissenschaftsbezug gestalten lässt, gingen Herr Prof. Dr. Wolfgang Meseth, Prof. Herr Dr. Malte Schwinger sowie Herr Dr. Jost Stellmacher (alle von der Phillips-Universität Marburg) in einem Streitgespräch, moderiert von Frau Dr. Evelyn Korn (Vizepräsidentin für Studium und Lehre, Phillips-Universität Marburg), nach.
Eine Herausforderung, die sich im Zuge der Kompetenzorientierung für die Lehre und das Prüfen an Hochschulen ergibt, ist zunächst die Definition des Begriffs „Kompetenz“ und die damit verbundene Frage, wie diese als Teil eines Prozesses oder als Ergebnis einer akademischen Ausbildung zu werten sind. Im Streitgespräch wurde die häufig verwendete Definition von Weinert angeführt, bei der Kompetenzen einen Bezug zu einem Kontext aufweisen und drüber hinaus Werte sowie Haltungen widerspiegeln. Aus psychologischer Perspektive stellt sich neben der Definition von Kompetenzen die Frage, wie Menschen ihre Fähigkeiten (weiter-)entwickeln. Hierfür ist die Kognition ausschlaggebend, die auf der Vorstellung beruht, dass jeder Mensch per se Fähigkeiten besitzt, die aktiviert werden können.
Im Laufe der Zeit ist eine Veränderung der Anforderungen für Hochschulen hin zu einer stärkeren Betrachtung individueller Kompetenzentwicklung („Individuumsorientierung“) erkennbar. Daraus entsteht ein Spannungsfeld zwischen zum einen einheitlichen Prüfverfahren und zum anderen Prüfungssettings, die die unterschiedlichen individuellen Fähigkeiten ansprechen. Die stärkere Betrachtung des Individuums wirft die Frage nach gerechten Prüfungsszenarien und deren Gestaltung auf. Die Gesprächspartner waren sich einig, dass häufig in Prüfungen noch abstraktes Wissen verlangt wird; wünschenswert wären jedoch individualisierte Prüfungssettings, die ein zielgerichtetes Verhalten und Fertigkeiten in einem bestimmten Kontext beinhalten. Hochschulen seien ein Ort, an dem Wissen in einem ungewissen Umfeld betrachtet wird. An diesem Prozess nehmen die Studierenden aktiv teil. Daraus ergibt sich vor allem für Lehrende die Chance, durch Diskussionen mit den Studierenden die jeweilige Kompetenzentwicklung als iterativen Prozess gemeinsam zu reflektieren.
Im Plenum wurde anschließend diskutiert, wie Prüfungen konzipiert werden könnten, die sowohl den Ansprüchen an die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses genügen als auch gleichzeitig ausreichend Berufsfeldbezug für die Absolventinnen und Absolventen haben. Einerseits könnten unterschiedliche Studiengänge mit einer jeweiligen Orientierung in Richtung Forschung oder Praxis eine Möglichkeit darstellen, ebenfalls denkbar könnten anderseits eingebettete Module mit Wahloption sein.
Des Weiteren wurde gefragt, wie durch Prüfungen – die den Lernprozess der Studierenden steuern –die gewünschten Kompetenzen adressiert werden können. Eine Lösung könnte sein, Prüfungen so zu gestalten, dass diese Reflexionswissen abfragen und einen Anwendungsbezug aufzeigen, sodass auch höhere Kompetenzniveaus erreicht werden. Darüber hinaus bietet sich durch die Kopplung unterschiedlicher Lernorte die Chance, vor allem die Handlungsfähigkeit der Studierenden zu fördern.